Hagen - Im Tal der Nibelungen (2024) (2024)

    Hagen - Im Tal der Nibelungen (2024) (1)
    • Kritik
    • Handlung

    Eine Filmkritik von Nathanael Brohammer

    Eine Antihelden-Geschichte

    Genau 100 Jahre ist es her, dass Fritz Lang das wichtigste deutsche Heldenepos als monumentalen Zweiteiler in schwarz-weiß verfilmte – und ästhetische Maßstäbe setzte. In den 60ern versuchte sich Harald Reinl an dem Stoff und fabrizierte einen zwar relativ werktreuen, aber auch sehr biederen Kostümschmarrn für die Mottenkiste. Zuletzt scheiterte Uli Edel 2004 krachend mit einer erratischen TV-Adaption für Sat1. Das Nibelungenlied verdient es also definitiv, in zeitgemäßer Gewandung fürs Kino aufgehübscht zu werden! Cyrill Boss und Philipp Stennert nehmen die Challenge an und polieren die Sage mit einem simplen, aber effektiven Kniff auf: sie erzählen die Geschichte aus der Perspektive des eigentlichen Antagonisten Hagen von Tronje, dem vermeintlich hinterhältigen Meuchler des heroischen Drachentöters Siegfried.

    Dieser Zugriff verdankt sich der Romanvorlage „Hagen von Tronje“ von Wolfgang Hohlbein, also einem Schriftsteller, der dank der Geschwindigkeit (und Qualität) seiner Textproduktion ChatGPT Konkurrenz macht. Mit diesem Roman allerdings schuf er 1986 tatsächlich eine durchaus originelle, nachhallende Neuinterpretation des Nibelungenlieds. Und mit dem titelgebenden Hagen von Tronje einen wahrhaftigen Antihelden. Wie auch in Holbeins Vorlage ist der vom Niederländer Gijs Naber gespielte Waffenmeister hier frei von Eigennutz und ein loyaler Vasall der Burgunden. Ein solcher wird angesichts der Herausforderungen auch benötigt. Denn der burgundische König Gunther (Dominic Marcus Singer) ist frisch gekrönt, unerfahren und muss direkt etliche Feuerproben bestehen: sein Reich wird nämlich nicht nur von äußeren Bedrohungen wie einfallenden Hunnen- und Sachsenhorden heimgesucht, sondern auch von inneren.

    Eine solche zieht in Gestalt des hitzköpfigen, königreichlosen Siegfried von Xanten (Jannis Niewöhner) durchs Tor der Wormser Stadtmauern: Der berüchtigte Drachentöter hat nicht nur ein Dutzend Haudegen und ein altes Sagenwesen im Gepäck, sondern auch dreiste Forderungen. Widerwillig tolerieren die kultivierten Burgunden die grobschlächtigen Manieren und mangelnde Impulskontrolle Siegfrieds, vor allem wegen seines Kriegstalents, das sie sich zunutze machen: in der Schlacht gegen das mächtige Sachsenheer überhäuft er sich schon bald mit Ruhm und darf sich in Worms als Held feiern lassen. Er verschafft sich zunehmend Einfluss, verbrüdert sich mit König Gunther und vernascht obendrein dessen stolze Schwester Kriemhild (Lilja van der Zwaag). Eine Heirat mit ihr soll ihn schließlich offiziell und ewiglich als Beschützer ans burgundische Königreich binden. Doch Gunther stellt zuerst eine Bedingung mit fatalen Folgen: Siegfried soll ihm zur Hand der unbezwingbaren Walkürenkönigin Brunhild (Rosalinde Mynster) verhelfen …

    Es ließe sich einer Dekonstruktion des schillernden Siegfried beiwohnen, dessen unkontrollierbarer Eifer allmählich den inneren Frieden des Königreichs gefährdet. Und prinzipiell passiert das vordergründig auch. Doch es wäre wünschenswert gewesen, dass das Regie-Duo seine Sorgfalt nicht nur auf den (wirklich gutausschauenden) düsteren Look, sondern ebenso in die Charakterisierung der Figuren und ihre oft unzusammenhängenden Dialogzeilen investiert hätte. Diese sind nämlich auf derartig bedeutungsschwangere Altertümlichkeit gebürstet, dass sie leider allzu häufig dazu prädestiniert sind, von den Schauspielenden mit hölzern-angestrengter Miene rezitiert zu werden. Am souveränsten meistert noch Hauptdarsteller Gijs Naber dieses mühevolle Unterfangen. Als Hagen ist er mit eindringlicher Wachsamkeit nicht nur stets darum bemüht, die durch Siegfried durcheinandergewirbelten Fäden der Macht beisammenzuhalten, sondern auch die Ernsthaftigkeit des Films, die in jeder Szene, in der er nicht auftritt, schnell entgleitet.

    So bleibt „Hagen“ an erster Stelle klassisches style over substance-Kino, das insbesondere durch seine Schauwerte beeindruckt: detailverliebte Kostüme und kreativ gestaltete Sets (hervorzuheben ist hier v.a. der Part auf Island, der um die Walküren kreist) sowie der ausgesprochen dezente Einsatz von CGI. Das hebt den Film positiv ab von vergleichbaren zeitgenössischen Fantasy-Produktionen, die in gigantomanischen Special-Effects-Überbietungsorgien jeden Keim von Authentizität und Spannung pulverisieren. Hier hingegen wurden die fantastischen Elemente der Sage visuell ausgesprochen klug eingewebt: der Drache, der Zwerg Alberich, die Magie – all diese Dinge sickern eher als vage, traumähnliche Ahnungen in die Erzählung, als verblassende Überbleibsel einer todgeweihten Ära.

    Viele ikonische Nibelungenlied-Szenen – etwa der Königinnenstreit vor dem Wormser Münster, Kriemhilds Falkentraum, Brunhilds „Zähmung“ in der Hochzeitsnacht usw. – haben es leider nicht in die Kinoadaption hineingeschafft. Das mag auch der Vorlage Holbeins geschuldet sein, an der sich die zwei Regisseure ähnlich lose orientieren wie an dem Epos selbst. Dafür werden Figuren eingeführt und Handlungsstränge aufgemacht, die ins Leere laufen (etwa Königsmutter Ute, gespielt von Jördis Triebel). Das Ergebnis ist ärgerlich viel ungenutztes Potenzial. Abzuwarten bleibt, welche der vielen Löcher der von RTL+ mitproduzierte Film in seiner angekündigten Langversion als sechsteilige Miniserie 2025 stopfen wird.

    Der Burgunder Waffenmeister Hagen von Tronje (Gijs Naber) hält mit Pflichtbewusstsein und eiserner Härte das von Krisen geschüttelte Königreich zusammen. Dabei unterdrückt er die heimliche Liebe zur Königstochter Kriemhild (Lilja van der Zwaag) und verdrängt seine eigene dunkle Vergangenheit. Als der berühmte Drachentöter Siegfried von Xanten (Jannis Niewöhner) in Worms auftaucht und mit seiner Unberechenbarkeit die alten Strukturen gefährdet, wird Hagen zunehmend zur tragischen Figur. Der junge und durch den plötzlichen Tod seines Vaters noch unerfahrene König Gunter (Dominic Marcus Singer) sieht in Siegfried eine Chance, das Reich zu retten. Er bittet ihn um Hilfe, ausgerechnet die gefährliche Walküre Brunhild (Rosalinde Mynster) zur Frau zu nehmen. Als sich Kriemhild in Hagens Widersacher Siegfried verliebt, muss er sich zwischen Liebe und Königstreue entscheiden. Hagen von Tronje wird dabei herausfinden, wer er wirklich ist.

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    Meinungen

    Andreas Grünwald · 16.06.2024

    Ich warte seit Jahren auf diesen Film, nun werde ich die Premiere nicht mehr erleben: Ich habe nur noch sehr wenige Wochen Lebenszeit.
    Ich bin 68 Jahre und seit 31 Jahren begeisterter Nibelungen-Fan und -Sammler. Ich hatte ein großes Nibelungenmuseum (zur N-Rezeption in Kunst, Kitsch, Pop und Werbung, sowie über 1.600 Bücher).
    Ich glaube ich weiß über Nibelungen-Filme als Amateur mehr als alle anderen und auch mehr als die meisten Experten.
    Wäre es möglich, daß mir vor meinem Tod das Anschauen dieses Filmes ermöglicht wird? Bitte! Ich hatte mit Wolfgang Hohlbein - mit dem ich in Weimar fast gemeinsam im Sandkasten gespielt hätte ;) - vor Jahren ein gutes Gespräch zu seinem Buch 'Hagen'. Auch ich, der ich um die hundert Titel mit Neu-Erzählungen der N-Geschichte - angesiedelt im MA, der Gegenwart oder der Zukunft - gelesen habe, favorisiere das Narrativ mit Hagen als positiven, weil konsequenten, klugen und trotzdem gefühlvollen Beschützer der Wormser Königsfamilie.
    Meine obige Bitte hatte ich schon mehrfach an CONSTANTIN Film gerichtet; leider ohne Antwort.

    Andreas Grünwald
    Weimar

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    Thommy · 10.07.2024

    Hallo Andreas,
    vorneweg muss ich gleich sagen, dass ich nur wenig über die Nibelungen weiss ....habe zufällig den Trailer zu Hagen gesehen und hab mal eben unter "Kritiken" nachgeschaut und dann deinen..Apell möchte ich fast schon sagen..gelesen.
    Ich bin richtig erbost darüber, dass sich niemand von Constantin Film bei dir gemeldet hat.
    Was arbeiten da für Leute?
    Selbstverständlich würde ich, wenn ich die Möglichkeit hätte, dir diesen Wunsch ermöglichen !!!
    Du hast diesen Leserbrief am 16.6. (by the way, zufällig mein Geburtstag) geschrieben.
    Meine Frage an dich...Hat sich denn zwischenzeitlich etwas ergeben?
    Lebst du noch? .Es sind ja schon wieder 3 Wochen vergangen
    Alles Gute
    Thommy
    Thomas Messinger (57) aus Bad Liebenzell

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